Vor fast zwei Jahren stand ich morgens im Bad und kämmte meine Haare. Ich war müde. Nicht so, wie man morgens nunmal müde ist, wenn man im Bad steht und seine Haare kämmt, sondern so richtig richtig müde. Ich hatte die Nacht nicht gut geschlafen. Mal wieder. Denn auch die Nacht davor. Und die Nacht davor hatte ich kaum ein Auge zugetan. Ich schlief jede Nacht bis 3 Uhr. Und war dann hellwach. Fürchterliche müde. Und fürchterlich wach.
Erst zwei schlaflose Jahre später sollte ich rausfinden, dass meine Schilddrüse sich selbst auflöst und mein Herz so rasen lässt, dass die wilden Herzklopfschläge mich pünktlich jede Nacht um 3.00h weckten, wie ein innerer Presslufthammer.
An diesem müden Morgen wusste ich das noch nicht. Und stand unwissend und müde im Bad. Kämmte meine Haare. Weil eine große Portion eben dieser Haare sich von meinem Kopf löste. Ich stand da. Und starrte auf den Büschel in meiner Bürste. Und war mir nicht ganz sicher, ob ich wirklich schon wach war. Ich habe kein wahnsinnig emotionales Verhältnis zu meinen Haaren. Ich war nie ein Mädchen mit geflochtenen Zöpfchen und aufwendigen Hochsteckfrisuren. Aber an diesem Morgen sollte ich feststellen, dass Haare ein bisschen so sind, wie Geld. Natürlich nicht im globalen Sinn. Aber als ich auf diesen großen Haufen Haare blickte, der sich von meinem Kopf gelöst hatte, war mir klar, dass einem wohl erst dann klar wird, wie wichtig einem diese Haare waren, wenn sie nicht mehr da sind. So fällt es leicht zu sagen, dass Geld keine Rolle spielt - so lang es da ist. Aber sobald man es schmerzlich vermisst, wird die Rolle immer größer…
Und so war das auch mit meinen Haaren. Denn dieser eine Morgen sollte nicht der letzte sein. Meine Haare wurden immer kaputter. Immer mehr fielen aus. Und so, wie sich auch die nächtliche Herzraserei erst zwei Jahre später erklären sollte, sollte mir auch erst dann klar werden, dass das alles zusammenhängt.
Das Herzrasen. Der Haarausfall. Das Zunehmen. Die Fingernägelbrecherei.
Am Freitag stand ich ausgeschlafen im Bad. Seitdem ich weiß, dass meine Schilddrüse sich selbst zerstört und meine Medikamente justiert sind, stehe ich oft ausgeschlafen im Bad. Ja, ich bin müde. Aber eben so normal müde, wie man müde ist, wenn man morgens im Bad steht. Ich stand also normalmüde da und starrte auf meine Haare. An vielen Stellen auf meinem Kopf wachsen Büschel nach. Frische, feine unbeschädigte Haare. Aber der untere Teil, den, den ich jeden Morgen zu einem Dutt knotete, der erzählte eine andere Geschichte.
Er erzählte von schlaflosen Nächten und Tagen, an denen ich nicht wusste, was mit meinem Körper los ist - der Fingernägel verlor und Kilos gewann. Er erzählte von einer Marie, die ein Stück von sich selbst entrückt war.
Und so sehr diese Geschichte zu mir gehört wie meine kaputte Schilddrüse, ist die Zeit, da sie mich bestimmt und nicht ich sie, vorbei.
Also schnitt ich sie ab.
Und das fühlt sich ziemlich stark nach Freiheit an.
(Falls Du ähnliche Symptome hast, tu Dir einen Gefallen: Geh zum Arzt, lass Dich checken. Warte nicht zwei Jahre und denke, dass es wahrscheinlich an Dir liegt, oder am Stress. Ich hab Riesen-Glück, dass ich es herausfand, dass die Medikamente greifen, justiert sind und ich wieder ich bin. Und dieses Riesen-Glück wünsche ich einfach allen, die mit Hashimoto durch die Welt wandern.)