Langsam erkenne ich mich wieder. Es waren verrückte Jahre. Diese letzten. Und ich habe verrückt viel über mich gelernt. Allen voran, dass mein Bauchgefühl nicht lügt. Mein Kopf mag einiges wissen. Aber an das, was mein Bauch ahnt, kommt mein Kopf nicht ran. Mein Bauch wusste einfach ganz genau, dass mit meinem Körper irgendwas nicht stimmt.
Und er hatte recht. Inzwischen ist ein Jahr vergangen. Die Schilddrüsen-Tabletten sind eingestellt. Und meinem Körper geht es besser. Aber es war mehr, als nur das Thyroxin, dass mein Leben im letzten Jahr verändert hat. Und mich wieder mehr zu mir selbst machte. Das war auch ich.
Und ja, das ist mal wieder ziemlich großer Marie-Pathos. Aber das bin ich. Und alles, was nicht ich bin, alles, was nicht ich war, alles, was mich neben meiner Schilddrüse krankmachte. Das habe ich geändert.
Diese ganze Youtube-Blase, die mit mir und dem, wofür ich stehe, einfach mal nichts zu tun hat.Den Kampf für Menschen, die selbst gar nicht kämpfen wollen - weil sich für sie immer alles um sie selbst dreht.
Die auf Bühnen Dinge sagen, zu denen sie selbst nicht stehen.
Die sich wegen ihrer Abonnenten und Follower besser als normale Menschen fühlen.
Die ernsthaft - ohne Witz - zu anderen Menschen gehen und Dinge sagen wie:
"Darf ich ein Foto mit Dir machen? Ach, eigentlich müsstest Du mich fragen, ich hab ja viel mehr Follower als Du!“
Menschen, die ohne einen Funken Ironie zu Freunden sagen:
„Wie schlecht fühlt ihr euch denn jetzt, da ich besser bin als ihr, da meine Abos eure überholt haben? Ich bin jetzt halt besser als ihr!“
Menschen, die nicht merken, wie abgehoben sie sind. Wie sehr ihre Realität konstruiert und ihr Verhalten perversiert ist.
Menschen, die in ihrem Leben danach streben, auf VIP Partys zu gehen und von Shuttles abgeholt zu werden. Die danach streben, Gesichter von Werbekampagnen zu werden und sich wünschen, Produkte umsonst zu bekommen - das alles hat mit mir nichts zu tun. Diese Partys sind einfach nur lächerlich. Und dieses Verhalten einfach nur arm.
Erst hat es mich schockiert. Dann gelangweilt. Und dann taten sie mir einfach nur leid. Wie so Motten, die sich eigentlich nach dem Mond sehnen - aber verwirrt vom Elektrischen-Click-Bait-Licht ins Rampenlicht fliegen und dort verbrennen.
Es sind nicht alle so. Es sind nie alle so. Aber es sind erschreckend viele so.
Auch unter denen, von denen man es als Außenstehende nicht denkt.
Es ist wohl wie in jeder Szene. Wie in jeder Branche. Aber ich war in den letzten Jahren nunmal am meisten in dieser einen Szene unterwegs. Und die ist doch auffällig geprägt von egozentrischen Egoisten. Die einen auf der einen Seite mega abfucken. Und um die man sich gleichzeitig auch seltsam Sorgen macht.
Weil das einfach nicht gesund ist.
Menschen, die hinter den Kulissen in dieser Blase unterwegs sind, wissen das. Die Menschen, die als Partnerbetreuer in Netzwerken arbeiten. Die, die mit oder für YoutuberInnen Konzepte entwicklen, Inhalte umsetzen und Kampagnen betreuen. Unter vorgehaltener Hand werden Dir alle sagen, dass die Szene und die meisten Akteuere wirklich krank sind.
Aber wer bringt die Blase zum platzen, von der er selbst profitiert?
Wer beißt die Hand, die einen viral gehen lässt? Die Szene ist zu einer unfassbaren Arschkriecher-Branche geworden.
In der man sich wenig um die Menschen kümmert, die da im Rampenlicht verbrennen. Ja klar, die meisten sind selbst dran schuld. Aber man könnte ihnen auch die Hand reichen. Doch das geht nur gemeinsam. Kritik verdunstet, so lang, wie es einen gibt, der nicht möchte, dass Du sie hörst. Der davon profitiert, dass Du dich nicht änderst. Und so weiß man manchmal gar nicht mehr, was zu erst war: Die Motte, oder das Licht.
Es hat ein bisschen gedauert, bis ich es sah. Und vielleicht hat meine kaputte Schilddrüse unterstützt, dass mein Kopf etwas langsamer war, als sonst. Dass er etwas gebraucht hat, um es zu verstehen. Aber mein Bauch hat recht früh ein doofes Gefühl bei der Sache gehabt. Aber ich hab es nicht so richtig wahrhaben wollen.
Ich bin ein Utopisten-Kind. Bin mit Demos aufgewachsen. Mit Ton Steine Scherben. Und dem Verständnis, dass wir den öffentlichen Raum mitgestalten dürfen. Und müssen. So war für mich der Versuch, die Szene mitzugestalten, eine Selbstverständlichkeit. Und ich bin nicht gut darin, Dinge in Maßen zu tun. Also bin ich all in: 301+ e.V., Webvideopreis-Academy-Päsidentin, Künsterlbetreuerin von LeFloid,...
Ein Versuch kann nicht scheitern, wenn man versucht. Und ich habe wirklich versucht. Für mich stand Youtube vor einigen Jahren an einem Scheideweg. Und ist leider in die falsche Richtung abgebogen. Das, was jetzt passiert, ist eine logische Konsequenz aus der für mich falschen Richtung und diesem Weg.
Und so überrascht mich nicht, dass in den Trends nun Videos auftauchen, in denen junge Männer für Geld Frauen an den Arsch fassen. Es überrascht mich nicht, dass jene Youtuber, die Click-Bait-Content, Schleichwerbung oder Bild-Niveau produzieren nun die „Guten“ sind. Und mit Fingern auf die „neuen Bösen“ zeigen können. Es wundert mich nicht, dass Youtube politische Inhalte entmonetarisiert und gleichzeitig mit google und dem Youtube-Space das Interview mit Merkel und Schulz ausrichtet.
Es wundert mich nicht. Aber es macht mich ein bisschen krank.
Und das ist eine weitere Sache, die ich über mich gelernt habe: So was macht mich wirklich krank. Nicht im übertragenen Sinne. Sondern wörtlich. Das hab ich nicht nur gespürt. Das hat man mir auch angesehen. Zumindest ich hab es mir angesehen. Ich kann arbeiten wie ein Tier. Und kämpfen, wie eine Löwin. Aber ich werde körperlich krank, wenn das Wofür nicht stimmt.
Es gibt einfach wirklich kein richtiges Leben im falschen. Und wenn man im falschen steckt, dann muss man es ändern. Wenn schon nicht im Großen. Dann wenigstens im Kleinen. Für sich selbst.
Also habe ich im letzten Jahr meine Kräfte umgelagert. Und mich wieder auf das konzertiert, um was es mir geht:
# Inhalte.
# Menschen, die wirklichen einen Unterschied machen. Und nicht nur so tun, als ob.
# Meinen geschundenen Körper.
# Meine Liebe.
# Mein Bauchgefühl.
# Musik.
# Schreiben.
Und so langsam erkenne ich mich wieder. Ein Versuch kann nicht scheitern, wenn man versucht. Aber ein bisschen weh tut es trotzdem, wenn ein Versuch nicht glückt.
So manche Nacht lieg ich noch wach. Und denke an alte Freunde, die nun keine mehr sind. An Freunde, die vielleicht nie wirklich welche waren. An Motten im Licht. An Fehler, die ich beim Versuchen gemachte habe. Und frag mich, wie es jetzt wohl weiter geht.
Ich hab keine Ahnung, was jetzt passiert. Wohin mich meine Kräfte treiben. Aber mein Bauchgefühl ist wieder fein mit mir.
Und ich erkenne mich langsam wieder.